Die hīnayānischen Gebote

 
Die japanische Vinaya-Schule Risshū
 
László Hankó:
Der Ursprung der japanischen Vinaya-Schule Risshū und die Entwicklung ihrer Lehre und Praxis
日本の律宗の起源とその教義と実習の変遷
Cuvillier Verlag Göttingen, 2003. (433 S.)  
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Textabschnitte aus dem Buch:
 
(Ergänzt mit Originaltext + pinyin-Umschrift, ohne Anmerkungen und Fußnoten)

Gebote des 四分僧戒本 Sìfēn sēng jièbĕn (J: Shibun sō kaihon)
                 S: Caturvargavinaya (Vierteilige Vinaya-Schrift)
Das Caturvargavinaya steht heute nur auf Chinesisch zur Verfügung.
Ins Chinesische übersetzt von Buddhayaśas und Zhu Fonian zw. 410-412.

Das Sifen seng jieben (→ SSJ) enthält die Ordenssatzung, die zweimal im Monat an der Beichtfeier zum Neu- und Vollmond vor der versammelten Gemeinde vorgetragen wird.

Die Rezitation wird von einem Zeremonienmeister eingeleitet. Er vergewissert sicht, ob die Versammlung vollständig ist und alle der Anwesenden die vollen Gebote (大戒) erhalten haben. Die noch nicht zum Mönch ordiniert sind (z. B. die Novizen), sollen hinausgehen. Man soll diejenigen melden, die begründet (z. B. wegen Krankheit) abwesend sind, und ihre Reinheit (dass sie in den letzten 14 Tagen die Gebote nicht verletzt haben) bezeugen. …

Wenn jemand sich mit einem Vergehen belastet fühlt, soll er dies gestehen (und Buße tun 懺悔). Wer gegen die Gebote nicht verstoßen hat, soll schweigen. Das Schweigen der Gemeinde zeigt, dass sie rein ist. … Auch nach dem Vortragen jeder Vergehensklasse werden die Anwesenden dreimal gefragt, ob sie von den dort genannten Sünden rein sind. Wenn jemand selbst nach der dritten Frage seine Sünde nicht bekennt, macht er sich des absichtlichen Lügens schuldig. Wenn einem Mönch das Vergehen eines anderen bekannt ist, soll er es sofort melden. Grundsätzlich dürfen an der Beichtfeier nur Mönche teilnehmen, die sündenfrei sind.

Nach dieser Einleitung fängt der Zeremonienmeister an, die 4 schwersten Gebote der ersten Vergehensklasse zu retizieren. Diese heißen Pārājika-dharma. Sie haben zur Folge die Ausstoßung aus dem Orden: Exkommunikation.

... 如來立禁戒半月半月説。
和合僧集會。未受大戒者出。不來諸比丘説欲及清淨。
... 若有犯者當發露。無犯者默然。默然故。當知僧清淨。...
如是諸比丘在於衆中乃至三唱。憶念有罪當發露。不發露者。
得故妄語罪。...
... 諸大徳。我已説戒經序。今問諸大徳。
是中清淨不 (如是三説) 諸大徳。是中清淨。默然故。...
... 是四棄法。半月半月戒經中説。

… Rulai li jinjie banyue banyue shuo.
Heheseng jihui. Wei shou dajiezhe chu. Bu lai zhu biqiu shuo yu ji qingjing.
… Ruo you fanzhe dang falu. Wu fanzhe moran. Moran gu, dang zhi seng qingjing. …
Ru shi zhu biqiu zai yu zhòngzhōng naizhi san chang. Yinian you zui dang falu. Bu faluzhe, de gu wangyu zui. …
Zhu dade! Wo yi shuo jiejing xu. Jin wen zhu dade.
Shi zhong qingjing bu? (Ru shi san shuo.) Zhu dade! Shi zhong qingjing. Moran gu. …
… Shi si qi fa. Banyue banyue jiejing zhong shuo.

1. Vergehensklasse: die 4 Pārājika-dharma 四波羅夷法 1-4
四棄法 (C: siqifa, J: shikihō) : „vier (Straftaten), weswegen man (aus der Samgha) herausgeworfen wird“.
Die Strafe besteht darin, dass der Mönch an der Beichtfeier nicht teilnehmen darf, was die Exkommunikation bedeutet: „nicht zusammen wohnen” 不共住 (J: fugūjū)

§ I.1. 淫戒 nicht unkeusch sein (C: yínjiè, J: inkai)
若比丘與比丘 ... 不捨戒 ... 犯不淨行... 乃至共畜生。是比丘波羅夷不共住。
Ruo biqiu yu biqiu … bu she jie … fan bu jingxing … nai zhi gong xusheng, shi biqiu boluoyi bu gong zhu.
Wenn der Mönch mit einem (anderen) Mönch, ohne die Gebote zu verwerfen, unsaubere Handlungen eingeht, … sogar wenn er (diese) mit einem Tier tut, … dann macht er sich des Pārājika-Vergehens schuldig und wird ausgestoßen.

捨戒: she jie – „die Gebote verwerfen“ bedeutete die Rückkehr in das weltliche Leben (還俗C: huan su, J: kanzoku), wo die Gebote nicht mehr galten, aber der Weg für einen Wiedereintritt in den Orden (再出家C: zai chujia, J: saishukke) jederzeit offen stand. Die Zahl des Wechselns zwischen dem weltlichen und mönchischen Leben war für Männer nicht begrenzt. Nur für Frauen galt es: einmal in den Orden ausgetreten, durften sie nicht wieder eintreten.
Es wird allgemein angenommen, dass das Gebot sich auch auf Verkehr mit Frauen erstreckt, obwohl im Text nur Kontakt mit Männern und Tieren erwähnt wird.
Wenn ein Mönch Unzucht begeht, wird er exkommuniziert und für die ewige Hölle verdammt. Wenn er aber rechtzeitig aus der Kutte springt, um sich frei ausleben zu können, bleibt es ihm weiterhin möglich, sich wieder ordinieren zu lassen.

§ I.2. 盗戒 nicht stehlen (C: dàojiè, J: tōkai)

§ I.3. 殺戒 nicht töten (C shājiè, J sekkai)

§ I.4. 妄語戒 nicht lügen (C: wàngyŭjiè, J: mōgokai)

2. Vergehensklasse: die 13 Samghāvaśeşa-dharma十三僧伽婆尸沙法5-17 (13):
C: sengjiaposhisha, J: sōgyabashisha
Strafe: zeitweilige Ausstoßung

§ II.7. 若比丘欲作大房。有主爲己作。應將餘比丘往看處所。彼比丘應看處所。無難處無妨處。若比丘難處妨處作大房 ... 不將餘比丘往看處所者。僧伽婆尸沙
Ruo biqiu yu zuo dafang, you zhu wei ji zuo, ying jiang yu biqiu wang kan chusuo. Bi biqiu ying kan chusuo, wu nanchu wu fangchu. Ruo biqiu nanchu fangchu zuo dafang, … bu jiang yu biqiu wang kan chusuozhe: sengjiaposhisha.
Wenn ein Mönch sich ein großes Haus zu bauen wünscht und es einen Spender gibt, der es für ihn macht, dann soll er die anderen Mönche einladen, damit sie den Ort besichtigen. Diese Mönchen sollen nachschauen, ob dort Gefahr besteht oder Hindernisse vorhanden sind.
Wenn der Mönch auf einem gefährlichen Ort mit Hindernissen ein großes Haus baut ... und er die anderen Mönche nicht einlädt, den Ort zu besichtigen, dann (begeht er) ein Samghāvaśeşa-Vergehen.
(Der Bau des Hauses wird durch einen Spender finanziert. Die Größe des Hauses ist nicht begrenzt.)

3. Vergehensklasse: die 2 Aniyata-dharma二不定法18-19 (2)
C: erfuding, J: nifujō: unbestimmte (schwer zu beurteilende) Vergehen
→ sexuelle bzw. erotische Spiele mit einer Frau
Strafe: Ausstoßung oder zeitweilige Ausstoßung

4. Vergehensklasse: die 30 Naihsargika-prāyaścittika-dharma 20-49 (30)
三十尼薩耆波逸提法 C: nisaqi-boyiti, J: nisaggi-haitsudai
Übersetzt: 捨墮 C: sheduo, J: shada (wegwerfen + fallen)   
Verstöße gegen Besitz. Unerlaubter Besitz von Kleidungen und anderen Gegenständen
Strafe: Beschlagnahme unerlaubter Gegenstände und Buße

§ IV.1. 若比丘衣已竟 ... 畜長衣經十日不淨施得持。若過者尼薩耆波逸提
Ruo biqiu yi yi jing, … xu zhang yi jing shiri bu jingshi de chi. Ruo guozhe nisaqi-boyiti
Der Mönch ... ... kann seine überzählige Gewänder, die er besitzt, zehn Tage lang behalten, ohne dass er sie seiner Reinheit wegen verspenden muß. Wenn er diese Zeit übertritt, dann ist es ein Naihsargika-prāyaścittika-Vergehen.

Jingshi 淨施 (J: jōse = der Reinheit wegen verspenden) war eine breit angewandte Methode, unerlaubte Gegenstände zu legalisieren und zu behalten.

Normalerweise war einem Mönch nur der Besitz von 3 Gewändern erlaubt. Die Mönche mußten ihre überzählige Kleider innerhalb 10 Tagen abgeben. Drei Gewänder waren natürlich nicht ausreichend und es war unvermeidlich, aus hygienischen und gesundheitlichen Gründen dieses Gebot zu mißachten. Das "Verspenden der Reinheit wegen" war eine Zeremonie, nach der der Mönch sein Kleid entweder sofort behalten durfte oder ebenfalls zeremoniell zurückbekam.

§ IV.18. 若比丘自手取金銀若錢。若教人取。若口可受者。尼薩耆波逸提
Ruo biqiu zishou qu jin yin ruo qian, ruo jiao ren qu, ruo kou ke shouzhe, nisaqi-boyiti.
Wenn der Mönch mit eigener Hand Gold, Silber und Geld annimmt oder jemanden veranlaßt, es (für ihn) anzunehmen oder wenn er es mit dem Mund annimmt, (begeht er) ein Naihsargika-prāyaścittika-Vergehen.

5. Vergehensklasse: die 90 Prāyaścittika-dharma 50-139 (90) Die Nonnen haben 178
九十波逸提法 C: boyiti, J: haitsudai
Übersetzt: 單墮 C: danduo, J: tanda
Verschiedenes. Strafe: Buße

§ V.10. 若比丘自手掘地。教人掘者波逸提
Ruo biqiu zishou jue di, jiao ren juezhe boyiti.
Wenn der Mönch die Erde eigenhändig aufgräbt oder durch jemanden aufgraben läßt, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.
(Ein Gebot zum Schutz der in der Erde lebenden kleinen Lebewesen.)

§ V.19. 若比丘知水有蟲。自用澆泥澆草。教人澆者波逸提
Ruo biqiu zhi shui you chóng, zi yong jiāo ni jiāo cao, jiào rén jiāozhe boyiti.
Wenn der Mönch weiß, dass es im Wasser Würmer gibt, aber er (das Wasser) benutzt, damit den Boden bewässert und das Gras begießt, oder jemanden beauftragt, dies zu tun, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.

§ V.20. 若比丘欲作大房。戸扉窓及諸庄飾具。指授覆苫齊二三節。若過者波逸提
Ruo biqiu yu zuo dafang, hu fei chuang ji zhu zhuangshiju, zhi shou fu shàn qi er san jie, ruo guozhe boyiti.
Wenn der Mönch ein großes Haus mit Türen, Fenstern und mit allen Schmuckgegenständen bauen möchte, soll er das Dach nur bis zu zwei-drei Schichten mit Stroh decken. Wenn er dies übertritt, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.
(Grund: unter dem schweren Dach könnte das Gebäude einstürzen.)

§ V.23. 若比丘語 ... 諸比丘爲飮食故。教授比丘尼者。波逸提
Ruo biqiu…, zhu biqiu wei yin shi gu, jiaoshou biqiunizhe, boyiti.
Wenn der Mönch … so redet: "Die Mönche unterrichten die Nonnen nur deshalb, weil sie dort zu essen und zu trinken bekommen", (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.

§ V.27. 若比丘與比丘尼。期同道行乃至聚落。除餘時波逸提。餘時者。若伴行有疑恐怖處。此是時
Ruo biqiu yu biqiuni, qi tongdao xing naizhi juluo, chu yushi boyiti. Yushizhe, ruo banxing you yi kongbu chu. Ci shì shí.
Wenn der Mönch sich mit einer Nonne verabredet, mit ihr auf dem gleichen Weg zum (nächsten) Dorf zu gehen, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen – es sei denn, dass er es in einem Ausnahmefall tut. Dieser ist: wenn er vermutet, dass der weg, den er mit ihr zurücklegen möchte, durch einen gefährlichen Ort führt.
(Die Interpreten legen die Betonung auf das Wort qi (期 Verabredung). Wenn der Mönch unterwegs einer Nonne zufällig begegnet und sie begleitet, gilt es nicht als Vergehen.)

§ V.53. 若比丘以指撃攊他比丘者波逸提
Ruo biqiu yi zhi jili ta biqiuzhe boyiti.
Wenn der Mönch mit seinen Fingern die anderen Mönche kitzelt, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.

§ V.56. 若比丘半月洗浴。無病比丘應受。若過受。除餘時波逸提。餘時者。熱時病時作時。風時雨時。遠行來時。此是時
Ruo biqiu banyue xiyu, wubing biqiu ying shou. Ruo guo shou, chu yushi boyiti. Yushizhe, reshi, bingshi, zuoshi, fengshi, yushi, yuanxinglaishi. Ci shi shi.
Der Mönch muß halbmonatlich baden. Wenn er nicht krank ist, muß er es tun. Wenn er öfters badet (als halbmonatlich), (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen - es sei denn, dass er es in Ausnahmefällen tut: bei heißem Vetter, Krankheit, körperlicher Anstrengung, Wind (mit viel Staub), Regenwetter und Wanderungen.

§ V.58. 若比丘藏他比丘衣鉢坐具針筒。若自藏若教人藏。下至戲笑者。波逸提
Ruo biqiu cang ta biqiu yi bo zuoju zhentong, ruo zi cang ruo jiao ren cang, xia zhi xixiaozhe, boyiti.
Wenn der Mönch den Almosennapf, das Gewand, die Sitzmatte oder die Nähgarnitur des anderen Mönches, auch wenn nur aus Spaß, entweder selber versteckt oder verstecken läßt, (begeht er) ein Prāyaścittika-Vergehen.

6. Vergehensklasse: die 4 Pratideśanīya-dharma 140-143 (4)
四波羅提提舍尼法 C: boluoti tisheni, J: haradai daishani
Übersetzt: 悔過 C: huiguo, J: kaika (Reue)
Vorschrifte bezüglich Lebensmittel und Essen
Strafe: Reue 悔過

7. Vergehensklasse: die 100 Śikşākaraņīya-dharma 144-243 (100)
百式叉迦羅尼法 C: shichajialani, J: shikishakarani
Übersetzt: 應當學C: ying dang xue, J: ōtōgaku
Die Regeln des gutes Benehmens
Strafe: die Regeln des gutes Benehmens lernen 應當學

§ VII.9. 不得跳行入白衣舍應當學
Bu de tiao xing ru baiyi she, ying dang xue.
Es muß gelernt werden, dass man hüpfend das Haus eines Laien nicht betreten darf.

§ VII.24. 不得戲笑入白衣舍應當學
Bu de xixiao ru baiyi she, ying dang xue.
Man darf nicht scherzend und lachend das Haus eines Laien betreten.

§ VII.33. 不得以飯覆羹上更望得應當學
Bu de yi fan fu gēng shang, gèng wang de, ying dang xue.
Man darf nicht die Suppe mit dem Reis aufsaugen lassen, um mehr zu bekommen.

§ VII.34. 不得視比坐鉢中起慊心應當學
Bu de shi bi zuo bozhong qi qiànxin, ying dang xue.
Man darf nicht eifersüchtig in den Napf des anderen schauen und vergleichen.

§ VII.35. 當係鉢想食應當學
Dang xi bo xiang shi, ying dang xue.
Man soll (während des Essens) die ganze Aufmerksamkeit dem Topf widmen.
(Kommentar: Damit sein Inhalt von der Seite nicht herausgestohlen wird.)

§ VII.37. 不得大張口待飯食應當學
Bu de da zhang kou dai fan shi, ying dang xue.
Man darf nicht mit groß geöffnetem Mund auf das Essen warten.

§ VII.39. 不得揣飯搖擲口中食應當學
Bu de chuāi fan yao zhì kou zhong shi, ying dang xue.
Man darf nicht die Reisklösse in den Mund schleudern.

§ VII.49. 不得生草上大小便涕唾。除病應當學
Bu de sheng cao shang da xiao bian tì tuò, chu bing, ying dang xue.
Man darf nicht auf lebendem Gras pinkeln, Stuhlgang verrichten, Nasenschleim herauspusten und spucken. Es sein denn, dass man krank ist.

§ VII.68. 不得擔死尸從佛塔下過應當學
Bu de dān sishī cong fota xia guo, ying dang xue.
Man darf nicht am Stupa vorbeigehen, wenn man eine Leiche trägt.

§ VII.74. 不得塔下大小便應當學
Bu de ta xia da xiao bian, ying dang xue.
Man darf nicht vor dem Stupa Wasser lassen und Stuhlgang machen.

§ VII.77. 不得持佛像至大小便處應當學
Bu de chi foxiang zhi da xiao bian chu, ying dang xue.
Man darf nicht die Abbildung von Buddha auf die Latrine mitnehmen.

§ VII.83. 不得遶塔四邊涕唾應當學
Bu de rao ta sibian ti tuo, ying dang xue.
Man darf nicht um den Stupa herumgehen und (überall) den Nasenschleim hinauspusten und spucken.

8. Vergehensklasse: die 7 Adhikaraņaśamatha-dharma 244-250 (7)
是七滅諍法 C: qimiezhengfa, J: shichimetsujōhō
Sieben Methoden für die Lösung von Streitigkeiten.
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